Ein Lektorat bietet Schreibenden die Chance, den eigenen Text aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten, nämlich mit den Augen eines sehr erfahrenen Lesers bzw. einer Leserin. Ein Lektorat achtet auf viele Dinge gleichzeitig: Struktur, Sprache, Leserführung, Stringenz, Verständlichkeit. Sich darauf einzulassen, bedeutet nicht, den eigenen Standpunkt als Autorin und Autor zu riskieren – oder sich gar einem fremden Urteil unterwerfen zu müssen. Ganz im Gegenteil.

Was habe ich als Autorin oder Autor zu sagen?

Vielmehr hilft ein Lektorat dabei, die eigene Perspektive zu festigen:

• Erreicht mein Text, was ich beabsichtige?
• Hat er eine Frage, die ich beantworte?
• Hält er sich an die Standards des Fachs, der Disziplin oder der Textform?

Die Lektorin stellt diese Fragen kritisch und macht im Dialog Vorschläge, wie Aussagen und Argumentation klarer werden.

Warum ist der Dialog zwischen Lektorin und Autorin bzw. Autor so wichtig?

Autorinnen und Autoren schreiben, weil sie etwas zu sagen haben. Also sind sie darauf angewiesen, von anderen entschlüsselt zu werden: Sie klinken sich mit ihren Büchern und Aufsätzen in einen Kommunikationsprozess ein. Leserinnen und Leser müssen die Botschaft enträtseln und einordnen können. Das kann die scientific community der Biologinnen und Biologen mit ihren eigenen Forschungsdiskussionen sein. Vielleicht ist es aber auch ein an Ernährung besonders interessiertes Laienpublikum – das Prinzip bleibt gleich.

Ohne Klarheit keine Botschaft

Wer schon einmal im Uni-Seminar oder am Abendbrottisch mit Freunden, Kolleginnen oder Kommilitonen über gemeinsam gelesene Bücher gesprochen hat, weiß, wie unterschiedlich Geschriebenes „ankommen“ kann. Das hängt vom Vorwissen des Empfängers oder der Empfängerin ab – aber eben auch vom Bemühen des Senders um Klarheit und Struktur.

Dialog statt einsame Schreibstube

Die meisten Schreibenden verbringen mit ihren Buch- oder Aufsatzprojekten eine lange Zeit allein. Manche Autorinnen und Autoren sind dabei in ein interessiertes Umfeld eingebunden, was schon mal ein großer Vorteil ist: Kolleginnen und Kollegen diskutieren Thesen und Textpassagen kritisch. Nur selten haben Autoren allerdings das Glück, dass jemand sich unentgeltlich Zeit nimmt und tage- oder wochenlang das komplette Manuskript systematisch durchforstet. Das gleiche gilt für Freunde und Familienmitglieder, die den Entstehungsprozess eines Sachbuchs oder Ratgebers begleiten. Sie sind oft eher rücksichtsvolle und gewogene Leser oder haben einen spezifischen Aspekt im Blick, mit dem sie sich besonders gut auskennen.

Lektorat im Kommunikationsprozess

Ein Lektorat hingegen leistet Arbeit am Text als Gesamtwerk. Es ist eine Art Probelauf für den Kommunikationsprozess, in den der Autor oder die Autorin sich mit der Publikation begibt. Das Gespräch steht dabei an erster Stelle. Die Lektorin wird nach dem ersten Durchgang erst einmal viele Fragen haben und nicht einfach mit ihren Ideen losschießen.

Ideen kommen beim Schreiben – und Reden

In der Praxis erlebe ich, wie Autorinnen und Autoren nach einer solchen intensiven Unterhaltung ausrufen: Jetzt ist mir selbst viel klarer, was ich sagen wollte! Manche haben auch regelrechte Geistesblitze, wenn sie diskutieren, und können ihre Arbeiten damit schön abrunden. Viele stellen fest, dass ihr Argument schon viel ausgereifter ist, als sie dachten, denn sie konnten es im Gespräch sehr gut verteidigen.

Das ist überhaupt das beste Ergebnis: Wenn Autorinnen und Autoren ihre komplexe Rolle noch besser erfüllen können, weil ihnen die Anstöße aus dem Lektorat bei den unzähligen Entscheidungen, die sie im Text zu treffen haben, unterstützen.



Weiterlesen
Aus meinem Lektorat: Mit Biofakten leben