Pflanzen erscheinen uns auf den ersten Blick als durch und durch „natürlich“. In ihrer wilden Form gedeihen sie von selbst, und es gab sie schon vor dem Erscheinen des Menschen auf der Erde. Doch auf den zweiten Blick sind viele Gewächse gleichzeitig auch „gemacht“, also künstlich manipuliert: Das gilt besonders für Kulturpflanzen, denen speziell für die Lebens- und Futtermittelindustrie Eigenschaften angezüchtet wurden.

Biofakt als Konzept

Der von Bernhard Gill, Franziska Torma und Karin Zachmann herausgegebene Band exploriert die Umstände und Folgen dieser Uneindeutigkeit zwischen Natur und Artefakt in Anlehnung an das technikphilosophische Konzept der Biofakte (zusammengesetzt aus „bios“ für „Leben“ und „facere“ für „machen“) nach Nicole C. Karafyllis.

Interdisziplinärer Rahmen

Die Beiträge verorten Biofakte in einem weit gespannten, interdisziplinären Rahmen. Aus historisch-kulturwissenschaftlicher Perspektive rücken etwa in den Überlegungen von Franziska Torma „soziotechnische Imaginationen“ rund um den Mais in den Blick und im Aufsatz von Lukas Breitwieser und Karin Zachmann der Versuch, Kakao im Labor gegen Schädlinge und Krankheiten zu immunisieren. Bernhard Gill und Veit Braun fragen nach dem Umgang mit Biofakten bei der Vergabe von Patenten. Johanna Kleinert und Veit Braun bringen bei der Untersuchung von Kommodifizierungsprozessen bei Tomaten Ansätze aus dem Industrial Design und der Marktsoziologie zusammen.

Vom Biofakt zum Cyberfakt

Die Erfinderin des Konzepts der Biofakte, Nicole C. Karafyllis, analysiert in ihrem Beitrag die Samenbank als digitalisiertes „Weltnetzwerk pflanzengenetischer Ressourcen“ aus historisch-philosophischer Sicht. Sie beschreibt, wie Pflanzen in Zeichen übersetzt werden. Damit gibt sie gleichzeitig Anstöße, wie das Biofakt als „Cyberfakt“ in Zukunft weitergedacht werden kann - ein Impuls, der sicher für künftige Forschungen anschlussfähig ist.

Bernhard Gill, Franziska Torma und Karin Zachmann (Hg.), Mit Biofakten leben. Sprache und Materialität von Pflanzen und Lebensmitteln, Baden-Baden 2018.



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Aus meinem Lektorat: Stadt und Region als Arbeitsort - Tagungsdokumentation