In den ersten Semestern meines Geschichtsstudiums lernte ich: Schreibe niemals „ich“ im wissenschaftlichen Text! In meinen Arbeiten „wurde“ in der Folge etwas belegt. Oder die Studie selbst war Akteurin: Sie „will“ etwas zeigen. Ich wandelte mich zum forschenden Subjekt – und ließ dieses gleichzeitig aus meinen Haus- und Qualifikationsarbeiten verschwinden.

Ich-Tabu

Das „Ich-Tabu“ (Heinz L. Kretzenbacher) ist in Teilen der deutschsprachigen Wissenschaftskultur weit verbreitet. Dahinter steht die Vorstellung, dass wissenschaftliches Handeln allgemeingültige, vom Subjekt abgelöste Ergebnisse hervorbringe (Auer und Baßler 2007, S. 92f.). Nach dieser Ansicht soll auch wissenschaftlicher Text übergeordneter Sachlichkeit und Rationalität folgen.

Kritik

Dieses Wissenschaftsverständnis steht teilweise in der Kritik. Ein Text, mit dem Forschende kommunizieren, ist schließlich von zahlreichen Entscheidungen geprägt: über Thema, Struktur, Zuschnitt, Methodik und nicht zuletzt narrative Strategien (Manschwetus 2015). Solche Entscheidungen bewusst mit einem „Ich“ zu markieren, dürfte mit den Grundregeln wissenschaftlichen Arbeitens wie intersubjektiver Nachvollziehbarkeit vereinbar sein.

Verfasser-Ich

Wie können wir nun als Subjekt im wissenschaftlichen Text sichtbar werden? Eine Möglichkeit ist, mit einem „Ich“-Satz das eigene Handeln im Text zu beschreiben. Typisch wäre eine Ankündigung wie: „Im Folgenden analysiere ich ...“ Torsten Steinhoff hat diese Form als „Verfasser-Ich“ bezeichnet (Steinhoff 2007, S. 12–16).

Forscher-Ich

Weitgehend akzeptiert ist auch das fachlich-argumentative „Forscher-Ich“: Es erscheint etwa bei Begriffsneubildungen („Ich bezeichne diese Form als ...“) oder Bewertungen („Nicht zustimmen kann ich ...“) (Steinhoff 2007, S. 17–21).

Erzähler-Ich?

Dann wäre da noch das „Erzähler-Ich“, das laut Steinhoff aber als ausgesprochen unwissenschaftlich wahrgenommen wird. Dieses Ich berichtet von persönlichen Erfahrungen beim Schreiben und Forschen, etwa Irrtümern oder Wissenslücken (Steinhoff 2007, S. 21–23).

Warum aber sollte es grundsätzlich falsch sein, Erkenntnisprozesse offenzulegen, die nicht geradlinig verliefen – wenn die Schreibenden mit dieser Strategie in ihrer Darstellung ein Ziel, etwa mehr Transparenz, verfolgen?

Besonders für akademische Qualifikationsarbeiten empfehle ich, den Einsatz der Ich-Form unbedingt mit den Betreuenden abzusprechen – denn die Bewertung ist durchaus nicht vom Subjekt abgelöst.

Literatur

Peter Auer/Harald Baßler, Reden und schreiben in der Wissenschaft, Frankfurt 2007.

Simone Fischer, Erfolgreiches wissenschaftliches Schreiben, Stuttgart 2015.

Heinz L. Kretzenbacher, Vom Ich-, Metaphern- und Erzähltabu. Oder: Wie durchsichtig ist die Sprache der Wissenschaften?, in: Forschung und Lehre 2 (1995), S. 183–185.

Uwe Manschwetus, Ist das Ich-Verbot noch zeitgemäß? (29.12.2015), URL: https://wissenschafts-thurm.de/ist-das-ich-verbot-noch-zeitgemaess/ (Stand: 18.04.2019).

Torsten Steinhoff, Zum ich-Gebrauch in Wissenschaftstexten, in: Zeitschrift für Germanistische Linguistik 35 (2007), S. 1–26.



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