Wir wechseln beim Schreiben permanent zwischen mehreren Sprachen.

Da ist einmal die Gegenwartssprache: Mit dieser Sprache hoffen wir, die Welt um uns zu erreichen, die gerade so und nicht anders über die Dinge spricht. Wenn wir beispielsweise die Formel „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ lesen oder hören, öffnet sich in unserem Kopf sofort ein ganzes Bedeutungsfeld, das für unsere Gegenwartsdebatten spezifisch ist.

Analysesprache

Wissenschaftliche Texte suchen darüber hinaus den Anschluss an fachliche Analysesprachen. Eine soziologische Arbeit, die mit der Systemtheorie argumentiert, muss sich zu diesem Begriff irgendwie verhalten. Die Geschichtswissenschaft nutzt theoretische Konzepte von Medien, die über den Alltagsgebrauch des Wortes hinausgehen. Auch die Analysesprache ist Teil der Gegenwartssprache und verändert sich.

Quellensprache

Wir alle sprechen außerdem eine weitere Sprache: die Sprache der historischen Quellen. Alle Begriffe, die wir nutzen, haben mehr oder weniger eine historische Dimension. Menschen vor uns haben sie gesprochen und geschrieben, haben bestimmte Bedeutungen damit verknüpft – als Teil ihrer jeweiligen Gegenwartssprache.

Politisch-soziale Sprache

Manche Begriffe haben im Laufe der Zeit ihre Bedeutung verändert oder sind vielleicht ganz aus dem Sprachgebrauch gefallen; andere verweisen auf ein spezifisches Gedankengut. Das gilt vor allem für Begriffe der politisch-sozialen Sprache, die selbst historisch sind: Die antike Demokratie und die neuzeitliche sind verschiedene Phänomene, über sie wurde und wird mit jeweils anderen Wissensbeständen, Erfahrungen und Erwartungen gesprochen.

Nationalsozialismus

Am eindeutigsten scheint die Sache bei Begriffen des Nationalsozialismus. Wir kennzeichnen unsere Distanz zu ihnen mit Anführungszeichen. Damit verweisen wir gleichzeitig auf die spezifischen Semantiken von Propagandavokabular wie beispielsweise „Drittes Reich“ und „Euthanasie“. Das ist nicht nur für geschichtswissenschaftliche Arbeiten relevant.

Anführungszeichen? Ja ...

Klingt einfach! Leider entzieht sich auch hier die Sprache dem Versuch, eine Regel für alle Fälle zu fixieren. Denn nach wie vor ist es wichtig, den Kontext des Begriffs genau im Blick zu behalten.

Ein Beispiel: die „Wiedergutmachung“. Die Geschichtswissenschaft versteht darunter die gesellschaftliche und politische Debatte um die Entschädigung von Opfern des Nationalsozialismus und die dazugehörige Gesetzgebung. Da damit ein zeitgenössischer Begriff gemeint ist, der über das Alltagsverständnis hinausgeht, sind Anführungszeichen sinnvoll.

... und Nein

Im juristischen Verständnis und damit verbundenen Texten ist Wiedergutmachung allerdings ein Rechtsbegriff, um den herum Anführungszeichen nichts verloren haben.

Mischformen

Manchmal können wir Begriffen bei ihrer Transformation von der Quellensprache in die Analysesprache regelrecht zusehen: Aus der euphemistischen „Reichskristallnacht“ wurde irgendwann die Reichspogromnacht, die den Quellenbegriff noch mit einem Analysebegriff mischte. Mittlerweile sprechen wir über die Novemberpogrome.

Das Lektorat hilft

In einem transparenten Text sind diese verschiedenen Sprachen gut erkennbar. Analysebegriffe werden vorgestellt, Quellenbegriffe als solche gekennzeichnet. Das Lektorat hilft dabei!



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