Die Schreibstimme (1): Entdecken
Was du schreibst, klingt nicht nach dir? Dann hast du deine Schreibstimme noch nicht aktiviert.
Was ist das überhaupt, die Schreibstimme?
Wie der Name sagt: Die Schreibstimme liest sich so, als würde man dir gerade beim Sprechen zuhören. Bist du eine begeisterte Erzählerin, provozierst du gerne? Diesen Antrieb, diese innere Haltung kann man am Ende hören oder besser gesagt lesen.
Peter Elbow, einer der Pioniere der Schreibpädagogik, bezeichnet die Schreibstimme als „energy that drives the meaning“.
Schreibstimme entmythisieren
Der Anspruch an die Schreibstimme ist oft hoch: Sie muss wie von selbst fließen, irgendwie schon „da“ sein.
Ich denke, dass das ein Mythos ist, der nicht hilft. Wir können unsere Schreibstimme vielmehr entwickeln, sie üben.
Damit du weißt, wo du anfangen musst, starten wir mit einem Test.
Die Schreibstimme testen
• Hast du eine kleine Zensorin im Kopf, die das Buchprojekt auf einen hohen Sockel stellt? Alles klingt gestelzt, irgendwie distanziert und wie durch einen Filter?
• Liebst du Nüchternheit, schwingst in deinem Buch aber waghalsige Thesen, weil du meinst, sonst nicht durchzudringen?
• Verkneifst du dir Passagen über persönliche Erfahrungen?
Mehrere Fragen mit Ja beantwortet? Dann bringst du deine Schreibstimme unbewusst zum Schweigen.
Zeit, sie zu entdecken.
Die Schreibstimme wecken
Um ein Gespür für den Klang deiner Schreibstimme zu entwickeln, ist es gut, dir zunächst selbst zuzuhören. Dazu eignet sich ein Klassiker der Schreibpädagogik: das Freewriting.
Beim Freewriting geht es um das, was so schwerfällt: Das „Drauflosschreiben“. Das tust du in diesem Fall mit einem Ziel. Du willst wissen, was dich bei deinem Buchprojekt antreibt.
Übung: Warum schreiben?
Stell den Timer auf zehn Minuten.
• Schreib, was du mit deinem Expertenthema erlebt hast. Warum liebst du es?
• Wer hat dich besonders inspiriert?
• Gab es Erfolge und Entwicklungsschritte?
• … oder Krisen und Zweifel?
• Warum willst du überhaupt ein Buch schreiben, Wissen vermitteln?
Schreib ohne Pause. Korrigiere keine Fehler, vervollständige keine Sätze. Fällt dir nichts ein, dann schreib das: Mir fällt nichts ein. Im nächsten Satz ist es schon wieder anders. Gedankensprünge sind erlaubt.
Überarbeiten
Mit dieser Übung kommst du deiner Schreibstimme näher.
Klar ist aber auch, dass das nicht der Text ist, den du am Ende veröffentlichst, sondern dass es noch vieler Umarbeitungen bedarf. Denn dein kreatives Puzzle braucht noch Ordnungsarbeit: Du legst fest, was du an welcher Stelle, mit welchem Spannungsbogen, mit wie viel Breite und wie viel Tiefe erzählst, was du mit Beispielen illustrierst.
Mit der Zeit wirst du besser werden. Du wirst es erleben, dass du immer mehr Passagen souverän in deiner Schreibstimme verfassen kannst.
Im nächsten Teil der Serie geht es um die Schreibstimme als Beziehungswesen! Denn natürlich sollen Leser*innen unsere Schreibstimme verstehen. Und es kommt vor, dass wir an Konventionen gebunden sind, die wir nicht verlassen können, besonders beim wissenschaftlichen Schreiben. Überlege nächste Woche mit mir, was wir da tun können.